„The Substance“ von Coralie Fargeat verarbeitet das Thema Jugendwahn zum feministischen Horror. Demi Moore ist furchtlos, ihrem Comeback-Film fehlt aber etwas.
Die Angst vor dem Altern ist dort besonders groß, wo das Äußere das Einkommen sichert. Vor allem also in Hollywood. Wer als Frau zum „alten Eisen“ zählt, bekommt meist nur noch Nebenrollen oder wird gar ganz aussortiert. Besonders pointiert und bissig machten sich darüber vier Stars lustig: Amy Schumer, Tina Fey, Julia Louis-Dreyfus und Patricia Arquette feierten gemeinsam den „Last Fuckable Day“, den letzten Tag, an dem eine Schauspielerin als sexy gilt. Sie schickten eine aussortierte Aktrice in einem Boot hinaus auf den See der Bedeutungslosigkeit. Ohne Witzelei, aber ebenso deutlich führt der Horrorfilm „The Substance“ von Coralie Fargeat vor, wie tief die Angst vor dem Verlust der Jugendlichkeit sitzt. In Cannes bekam er den Preis für das beste Drehbuch, am Donnerstag eröffnet er das Slash-Filmfestival, ab 20. September ist er regulär im Kino zu sehen.
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Demi Moore, in den vergangenen Jahren nicht gerade übermäßig oft auf der Kinoleinwand präsent, spielt darin die TV-Fitnesstrainerin Elisabeth Sparke, die pünktlich zu ihrem 50. Geburtstag vom Chef des Senders (grotesk übertrieben: Dennis Quaid) gekündigt wird. Von Scham und Gram zerfressen versteckt sie sich hinter großen Sonnenbrillen und in ihrer mit Plüsch ausstaffierten Wohnung. Vor deren Fensterfront hängt eine Plakatwand, auf der sie bis dato selbst zu sehen war. Doch nun wird die Werbung unsanft heruntergerissen. Elisabeths Karriere ist vorbei. Schluss. Aus.
Sie gebiert ein jüngeres Selbst
Ein junger Arzt eröffnet ihr einen Ausweg: die titelgebende Substanz, die sie sich injiziert. Aus ihrem Rücken gebiert sie im gnadenlosen Neonlicht ihres sterilen Badezimmers eine jüngere, schönere Version ihrer selbst, die sich Sue nennt (Margaret Qualley). Doch funktioniert der Zauber nur im Wechselspiel: Sieben Tage lang liegt Elisabeth bewusstlos auf den weißen Fliesen, derweil Sue aktiv ist. Dann ist es umgekehrt.
Schnell fasst Sue Fuß in der Unterhaltungsbranche. Sie erbt Elisabeths Sendeplatz als Star einer hypersexualisierten Fitnessshow. Doch bald hält sich Sue nicht mehr an die Regeln, stiehlt Elisabeth die Lebenszeit und saugt sie aus, sodass deren Körper noch schneller altert. Elisabeth wiederum stopft sich mit Essen voll, während ihr junges, dünnes Ich „schläft“. Der stets in Abwesenheit der Anderen ausgetragene Machtkampf der beiden Frauen schaukelt sich auf und driftet ins Bizarre.
Die französische Regisseurin treibt in ihrem zweiten Langfilm (nach dem regelrechten Blutbad „Revenge“ von 2017) den „male gaze“ auf die Spitze: Die Kamera leckt regelrecht über die perfekten Rundungen von Margaret Qualley und labt sich auch am Körper der älteren Schauspielerin. Das Special-Effects-Team hat bei Moores zunehmender Vergreisung ganze Arbeit geleistet, samt Altersflecken und sich verkrümmender Gliedmaßen. Beide Hauptdarstellerinnen werden vorzugsweise nackt gezeigt. Der Film gehört nicht umsonst zum Genre Körperhorror: In Großaufnahme stechen Nadeln in eitrige Wunden, und Fleisch bricht auseinander wie überreifes Obst.
Bei seiner Weltpremiere in Cannes sorgte „The Substance“ für einigen Wirbel. Fargeat betonte damals, ihr Ziel sei es, die toxische Beziehung von Frauen zu ihrem Körper zu erforschen und vorzuführen, was Frauen immer noch beigebracht würde – nämlich, dass ihr Wert von ihrem Aussehen abhänge.
Moore dachte nur an ihren Körper
Moore bekam für ihre furchtlose Darstellung viel Lob. In gewisser Weise spiegelt der Film ihre eigene Geschichte wider. In den Neunzigern war sie einer der größten, zwischenzeitlich bestbezahlten weiblichen Kinostars und Sexsymbol ihrer Zeit. Um fit zu bleiben, absolvierte sie radikale Diäten und brutale Workouts. „Alles, woran ich denken konnte, war mein Körper, mein Körper, mein Körper“, schilderte sie vor zwei Jahren in ihrer Biografie.
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In jüngerer Vergangenheit machte sie wegen ihres erstaunlich jugendlichen, ungewohnten Aussehens Schlagzeilen. Als sie im Jänner 2021 eine Modeschau bei der Pariser Fashion Week eröffnete, wurde nicht die Kleidung, sondern ihr Gesicht kommentiert: glatte Haut, hohe Wangenknochen. Von (zu vielen) Schönheits-OPs war schnell die Rede. Fast so, als hätte sie sich durch eine jüngere Variante ihrer selbst ersetzt.Moore selbst äußerte sich nicht dazu. Ihre Antwort auf das Skandälchen mag man in „The Substance“ finden.
Der Film überzeugt allerdings nicht durchgehend. Elisabeth stellt die herrschenden Schönheitsnormen lange nicht infrage, und Sue versucht vor allem, Karriere zu machen. Erst gegen Schluss wagt Elisabeth den Ausbruch aus diesem perversen System, das sie mitträgt. Nun wird Monstrosität des Jugendwahns vorgeführt. Doch was sie motiviert, ist weniger rebellischer Geist als mehr der Wunsch nach Jugend. „The Substance“ mag als feministischer Wutschrei intendiert sein. Doch ihm fehlt, was auf einen solchen folgen sollte: das befreiende Gefühl der Katharsis.
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